Auf der anderen Seite: meine erste mündliche Prüfung

Auf der anderen Seite: meine erste mündliche Abiturprüfung

Ganz unüblich bin ich neulich mit Hemd und Sakko in die Schule gegangen, eigentlich nicht meine übliche Berufskleidung. Immerhin lasse ich die Krawatte weg, nicht, dass ich ordentlicher angezogen bin als die Schüler. Der Grund: mündliche Abiturprüfung. Eineinhalb Jahre bin ich nun schon ein „richtiger Lehrer“. Seitdem habe ich einen Physik-Grundkurs betreut und zwei der Schützlinge haben sich tatsächlich für eine mündliche Prüfung im schönen Fach Physik entschieden. Nach zahlreichen eigenen mündlichen Prüfungen im Abitur, Studium oder Referendariat war es nun endlich Zeit die Seiten zu wechseln. Endlich nicht mehr aufgeregt sein, dachte ich, schließlich stelle ja nun ich die Fragen. Weit gefehlt: denn so nervös bin ich schon lange nicht mehr gewesen.

Im Vorfeld habe ich von der Aufregung noch nichts gespürt. Lange vorher haben wir als Fachprüfungskommission die Aufgaben und Erwartungsbilder erstellt und eingereicht. In drei Konsultationen haben wir die Prüfungssituation simuliert und versucht, aus jedem Fragezeichen im Kopf der Schüler ein Ausrufezeichen, versehen mit einem „Aha“ zu machen. Mögliche Aufgabenstellungen für den zweiten Prüfungsteil wurden erarbeitet. Einen Tag vorher bin ich die Ruhe selbst und freue mich auf den Tag der Mündlichen. Als es dann aber doch so weit ist und ich nicht mehr nur Schriftführer oder Prüfungsvorsitzender, sondern tatsächlich der prüfende Lehrer bin, ist mir klar warum das Sakko eine richtig gute Entscheidung war. Ich bin hellwach und konzentriert, aber das bisschen Adrenalin reicht scheinbar auch für eine erhöhte Schweißproduktion: und ich hatte gehofft, dass umgangssprachliche Schwitzen bei einer Prüfung sei vorbei. Die Prüflinge merken davon sicherlich nichts, die sind immerhin mit sich und der Präsentation ihrer Aufgaben beschäftigt.

Nun kann ich aber endlich nachvollziehen, warum man nicht nur die kleinen Fünftklässler als Klassenlehrer als seine „Schützlinge“ ansieht. Nach zwei Jahren Kursstufe fiebert man mit den Schülerinnen und Schülern natürlich mit und fragt sich, ob man sie gut auf die Abiturprüfung vorbereitet hat.

Während meiner Zeit im Referendariat und als Junglehrer war ich in der glücklichen Lage, bereits einige mündliche Prüfungen zu erleben: im Referendariat noch als Beisitzer, der nicht der Entscheidungsfindung zur Bewertung beiwohnen darf. Als Junglehrer dann als Schriftführer, der immerhin keine Fragen stellen muss. Mit diesen wertvollen Erfahrungen ging es für mich etwas entspannter in Richtung Prüfung. Die Rechtsgrundlage hierfür ist in Sachsen die „Schulordnung Gymnasium und Abiturprüfung“ (SOGYA):

An der mündlichen Prüfung können Mitglieder des Prüfungsausschusses, weitere Lehrer der Schule und Vertreter der Schulaufsichtsbehörden als Zuhörer teilnehmen. Mitglieder des Prüfungsausschusses und Vertreter der Schulaufsichtsbehörden können an der Beschlussfassung gemäß Absatz 9 Satz 1 als Zuhörer teilnehmen (§60, Abs. 10, SOGYA)

Auf meine eine eigene mündliche Prüfung – in Sachsen-Anhalt hatten wir damals scheinbar Glück – habe ich mich nicht so intensiv vorbereitet. Ich bin lieber spazieren gegangen als zu lernen, da sich am Ergebnis meiner Abiturnote nur in den Extremfällen etwas ändern konnte. Die Spaziergänge entpuppten sich übrigens als goldrichtige Entscheidung! 2005 hat es für mich gereicht, am Abend davor mal in den Hefter zu schauen. Zur Sicherheit habe ich aber auch gleich auf dem Hefter geschlafen, damit das geballte Wissen über Nacht in den Kopf wandern konnte.

Meine Schützlinge haben die mündliche Abiturprüfung glücklicherweise besser vorbereitet und sich selbst gute Ergebnisse beschert. Das sorgte auch bei mir für einen kleinen innerlichen Jubelsturm: Scheinbar alles richtig gemacht und als Prüfer passabel geschlagen. In meinem ersten Versuch habe ich die Beiden also möglicherweise angemessen vorbereitet. Da wird man fast ein bisschen stolz, auf jeden Fall aber sicherer in der eigenen Arbeit und an Erfahrungen reicher. Und wer weiß, vielleicht kann ich in kommenden Prüfungen dann das Sakko weglassen, wenn ich mich daran gewöhnt habe, dass ich jetzt auf der anderen Seite sitzen darf.

Bildquelle: pixabay


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert