Mit dem Fahrradhelm zur Schule

Der Fahrradhelm-Fluch

Seit vier Jahren ist mein Arbeitsweg zum Glück so kurz, dass ich ihn ausschließlich mit dem Fahrrad zurücklege. Mein ständiger Begleiter im Großstadtdschungel ist mein Fahrradhelm. In diesem Jahr habe ich den Speckdeckel aber an einem der 189 Schultage vergessen – mit ungeahnten Folgen!

Die Reaktion kommt prompt. Der Fahrradhelm-Fluch hat mich erwischt und ich werde ihn nicht mehr los. Am folgenden Tag werde ich direkt darauf angesprochen. Nicht von einer, sondern insgesamt drei Schülerinnen. In allwissendem und vorwurfsvollem Ton bekomme ich zu hören:

Herr Jott, sie sind gestern ohne Helm gefahren! Ich habe sie gesehen!

Rechtfertigungsversuche

Jede Form der Rechtfertigung ist zwecklos. Aber ich versuche es dennoch.

  • Das ist mir aber noch nie …. Lassen wir das besser gleich.
  • Da hast du mich ausgerechnet an dem einen von fast 200 Tagen … Das führt auch zu nichts.
  • Aber in 99,5% der Fälle hatte ich ihn doch … Warum rechtfertige ich mich eigentlich?
  • Den hat mein Hamster … Schon besser, aber jetzt suche ich Ausreden.
  • Ich habe einen unsichtbaren Helm getestet … Ein guter Anfang, ist aber wahrscheinlich langfristig nicht glaubwürdig.
  • Stimmt, aber dein Schnürsenkel ist offen & ich muss weg! … Das muss sie sein, die perfekte Reaktion!

Selbst meine Kollegen werden mir diesen Fauxpas noch Jahre – ach was: Jahrzehnte – um die Ohren hauen. Ein paar Tage nach der Ohne-Helm-Fahrt reagiert eine Kollegin erfreut und teilt mir mit, dass sie es toll finden, dass ich nun auch mit Kopfbedeckung fahre. So eine Unterhaltung verläuft dann in etwa so:

Ich: Moment mal! Ich bin schon immer mit Helm unterwegs, nur …

Kollege: Den habe ich bei dir ja noch nie gesehen! Letztens erst, da bist du auf jeden Fall ohne Helm gefahren.

Ich hätte es gleich wissen müssen. Nackt durch den Supermarkt rennen hätte wahrscheinlich geringere Auswirkungen, als ohne Radhelm zu fahren. Noch schlimmer scheint nur die Fahrt über eine rote Ampel zu sein.

Auf der Abschlussfeier meiner Schulklasse werde ich von Eltern ebenso einhellig begrüßt:

Oh, sie sind heute [ausnahmsweise?] mit Helm gekommen. Das ist aber vorbildlich.

Fahrradhelm und Frisur – Das ewige Dilemma

Aber ich bin lernfähig: Besser ich mache es gleich wie Robert!

Robert kenne ich seit seiner Jugendweihe. Robert hat eine großartige Frisur und Robert rast oft auf den letzten Drücker zur Schule. Auf dem letzten Anstieg zur Schule saust er dann an mir vorbei. Obwohl er strampelt, als würde ihn Alexander Dobrindt persönlich von den Vorteilen des Automobils überzeugen wollen, sitzt sein Haupthaar perfekt. Während meine blonden Strähnen ein trostloses, abgeknicktes und gequetschtes Dasein unter dem Helm fristen, sind Roberts Haare frei. Er fährt ohne Kopfschutz, den kann er auch gar nicht aufsetzen, schließlich baumelt der ja dekorativ am Lenker und wird als Alibi für die Eltern und zur Zier mitgeführt. Vor 20 Jahren habe ich es genauso gemacht. Nach einem ordentlichen Sturz und dem ersten zerbrochenen Helm werde ich aber trotzdem nicht dazu übergehen, den Helm nur in gefährliche Situationen aufzusetzen und ansonsten unauffällig mitzuführen.

Vergessen wäre schön

Ist das nun also positive Psychologie – ein Versuch der Eltern und meiner Kollegen, mein erwünschtes Verhalten zu belohnen? Eigentlich sind wir großartig im Vergessen. Gedächtnisforscher aus Harvard erkannten 7 Arten des Vergessen. Eine Fahrt ohne Helm eines Lehrers ist scheinbar keiner Kategorie zuzuordnen und kann nicht vergessen werden.

Ich muss dennoch nicht lange überlegen. Auch am folgenden Tag setze ich den „Speckdeckel“ auf den Kopf.

Als Robert nach seinem Abitur während eines kombinierten Lauf- und Radwettkampfs neben mir auf dem Rad sitzend auftaucht, ist das Unmögliche eingetreten. Ich falle beinahe vom Mountainbike, denn er trägt einen Helm. Den Hang zum Reduzieren hat er sich dennoch bewahrt. Bei 5°C und Dauerregen ist er in kurzer Hose und Handschuhen unterwegs. Das vergesse ich nie!


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